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Sexueller "Missbrauch" und die Folgen für die Betroffenen/Opfer

Hallo Ihr Lieben!

 

Es wird vermehrt darüber gesprochen. Das Tabu Thema „Missbrauch“ wird nicht mehr totgeschwiegen. Und das ist gut so. Die EMMAs haben schon sehr früh darüber geschrieben:

https://www.emma.de/artikel/sexueller-missbrauch-264637

 

Der Missbrauchsbeauftragte mahnt weiterhin, dass viel zu wenig getan wird, um Kinder zu schützen u. Menschen, die in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erlitten haben, nicht ausreichend Unterstützung erhalten:

https://beauftragter-missbrauch.de/presse-service/pressemitteilungen/detail/news/bilanzbericht-des-missbrauchsbeauftragten-der-bundesregierung-keine-entwarnung-kein-schlussstri/

 

Auszug:

Rörig fordert, Ursachen, Ausmaß und Folgen von Missbrauch endlich systematisch zu untersuchen, auszuwerten und zu veröffentlichen. „Wenn wir Kinder zukünftig nachhaltig schützen und eine wirkungsvolle gesellschaftliche Ächtung des Missbrauchs erreichen wollen, müssen wir wissen, was war und was ist“, erklärte Rörig. Dies könnte am besten durch eine Unabhängige Kommission geschehen.Im Bereich der Hilfen ist bis heute immer noch zu wenig erreicht worden“, stellte Rörig weiter fest, „es ist sehr ärgerlich, dass es fast zwei Jahre nach Ende des Runden Tisches noch nicht gelungen ist, die Länder und Kommunen für die dringend notwendige Stabilisierung und den Ausbau der Beratungsstellen zu gewinnen.

 

Viele Menschen hören zwar davon, dass es „Missbrauch“ gibt, aber sie wissen nicht, was es bedeutet. Das Ausmaß ist den meisten nicht wirklich bekannt. Aus diesem Grund möchte ich etwas gründlicher darauf eingehen u. die Folgen deutlich machen.

 

Wer in der Kindheit sexuelle Gewalt erlitten hat u. wir wissen inzwischen, dass es unzählige Betroffene/Opfer gibt, die entweder durch Familienangehörige oder in kirchlichen/schulischen Einrichtungen jahrelange sexualisierte Gewalt erleiden mussten, sind im Grunde „Lebenslängliche“, geschädigt fürs Leben.

 

Wenn der „Missbrauch“ in jungen Jahren geschieht u. sich über mehrere Jahre hinzieht führt das immer zu einer sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Dazu möchte ich aus einer Betroffenen Seite zitieren:

http://missbrauch-opfer.info/main.asp?IDS=35

 

Auszug:

Verschiedene Schutzmechanismen führen dazu, dass wir nicht nur die Situationen selber psychisch überleben, sondern dass wir auch danach weiter funktionieren können. In vielen traumarisierenden Situationen muss unser Gehirn in sehr kurzer Zeit sehr viele unterschiedliche und stark angstbesetzte Eindrücke aufnehmen. Da unsere Verarbeitungskapazität begrenzt ist, kann vieles dabei nur aufgenommen, aber nicht verarbeitet, d.h. bewertet, sortiert und in die sonstigen Erfahrungsbereiche integriert werden. Zusätzlich ist die Bedeutung dieser Eindrücke, Bilder und Handlungen für uns viel zu schlimm, als dass wir sie im Moment des Geschehens begreifen dürften.“

 

Was bedeutet, das Erlebnis, die sexuelle Gewalt, kann nicht im normalen Erfahrungsbereich abgespeichert werden, wie es z.B. bei einem Autounfall als Erwachsener geschieht. Der Schock, die Schmerzen, die Todesangst usw. werden im Normalfall Stück für Stück verarbeitet u. als schlimme Erfahrung irgendwann abgespeichert. Wir erinnern uns an alle Einzelheiten, an die dazu gehörigen Gefühle, vielleicht an den Geruch des auslaufenden Benzins, den Krankentransport u. den Weg der Genesung. Alles bleibt als Gesamtbild bestehen.

 

Bei sexueller Gewalt über längere Zeit (Jahre?) bleibt die Bedrohung, die Todesangst/Nähe, der Schmerz, die Wunden kontinuierlich bestehen, weil sie nicht aufhören wie bei einem Unfall.

 

Dafür gibt es zum Glück ein Traumagedächtnis, eine sinnvolle Schutzmaßnahme des Körpers um überleben zu können. Ich zitiere erneut aus o.g. Link:

Für diese Informationen steht deshalb ein "spezieller Speicher", das "Traumagedächtnis" zur Verfügung, das von unserem "Alltagsgedächtnis", sehr verschieden funktioniert. So können wir uns an Inhalte, die im "Traumagedächtnis" gespeichert sind, beispielsweise nicht gewollt erinnern, sondern bestimmte Auslöser (Gerüche, Bilder, Töne usw.), die denen während der

Extrembelastung ähneln, rufen in uns die Eindrücke von damals wieder wach. Diese fühlen sich dann sehr gegenwärtig an, da unser Gehirn nichts davon weiß, dass die Gefahr bereits vorüber ist.

 

Vertrauen und der Glaube an die eigene Kontrolle bzgl. der eigenen Person und der Welt sind beeinträchtigt. Außerdem werden alle Reize im "Traumagedächtnis" nicht als zusammenhängende Geschichte, sondern als Sammlung einzelner, unverbundener Sinneswahrnehmungen (Gesehenes, Gefühltes, Getanes, Gehörtes, Gerochenes) gespeichert.

 

Diese Art der Speicherung ist zunächst ein sehr sinnvoller Schutzmechanismus, kann aber nach einiger Zeit, wenn die Verarbeitung nicht nachgeholt wird, zu vielfältigen Beeinträchtigungen führen: Im Vollbild kann sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) entwickeln, die viele Lebensbereiche der Betroffenen verändern kann.“

 

Wenn ein Kind „missbraucht“ wird, kann es dieses extrem bedrohliche Erlebnis nicht einfach abspeichern. Es werden verschiedene Sinneswahrnehmungen in Fetzen irgendwo abgespeichert, völlig zusammenhanglos. Weshalb es oft genug vorkommt, dass Kindern oder auch Erwachsenen, die viele Jahre später wieder Bruchstücke erinnern, nicht geglaubt wird.

 

Sie müssen sich dann anhören, dass sie sich das „nur einreden“ oder „ausgedacht“ haben, sonst würden sie sich ja an das komplette Erlebnis erinnern, wie das normale Menschen eben tun.

 

Inzwischen ist das Wissen über das Traumagedächtnis ausreichend bekannt u. erforscht worden und anerkannt. Allerdings oft nicht bei Justizpersonal.

 

Kommen wir nun zu den Folgen und Formen einer Posttraumatischen Belastungsstörung bei Sexueller Gewalt. Im Link wird es zusammenfassend so beschrieben.

http://missbrauch-opfer.info/main.asp?IDS=35

 

Auszug:

Das traumatische Ereignis wird beharrlich wiedererlebt. Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flash-backs), lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen. Es treten dieselben sinnlichen Eindrücke z.B. bestimmte Bilder, Geräusche, Geschmacksempfindungen, Körperwahrnehmungen sowie gefühlsmäßigen und körperlichen Reaktionsweisen auf wie zum Zeitpunkt der traumatischen Erfahrung. Die emotionale Befindlichkeit kann von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein, ist jedoch gewöhnlich charakterisiert durch eine Mischung von panischer Angst, großer Traurigkeit, intensivem Ärger, emotionaler Taubheit und starken Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen und Schamgefühlen.“

 

Das Trauma wiederholt sich, es tauchen Erinnerungsbilder auf, die Geräusche u. Gefühle von damals tauchen in geballter Form wieder auf, als wenn es genau so wieder passiert. Das verwirrt natürlich u. macht Angst. Alles ist wieder da, greifbar nah, spürbar. Und kann zu jeder Zeit aus heiterem Himmel über die Betroffenen herein brechen.

 

Ob bei der Arbeit, unterwegs, während einer Umarmung des Partners, im Auto, im Kino, mit Freunden. Unberechenbare Gefühlsausbrüche u. unerklärliche Panik, plötzliche Trauer, Angstschweiß, Atemnot, Taubheit der Extremitäten, das Gefühl neben sich zu stehen. Die Auswirkungen sind enorm. Das wissen die meisten Menschen nicht. Es kann soweit gehen, dass die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind je wieder zu arbeiten.

 

Dazu abschließend noch einmal zum Text aus o.g.Link:

Die Auswirkungen traumatischer Erfahrungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

wiederholtes Erleben des Traumas (Intrusionen) in plötzlich sich aufdrängenden Erinnerungen (Flashbacks, d.h. Rückblenden), Tagträumen oder Alpträumen,

fortwährende Angst, das Ereignis könnte sich wiederholen,

Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die an das Trauma erinnern,

zwischenmenschliche Konflikte als Folge der Vermeidung von Situationen (Autofahrten, Reisen) oder Aktivitäten (sexuelle Kontakte), die an das Trauma erinnern,

Furcht vor und Vermeidung von Stichworten, die den Betroffenen an das ursprüngliche Trauma erinnern könnten,

gelegentlich akute und dramatische Ausbrüche von Angst, Panik oder Aggression, ausgelöst durch ein plötzliches Erinnern und intensives Wiedererleben des Traumas oder der ursprünglichen Reaktion darauf,

übermäßige Schreckhaftigkeit, Panikattacken, "existenzielle Angst", chronische Angstzustände, übermäßige Beschäftigung mit dem Tod,

gestörte Wahrnehmung des Täters: übermäßige Beschäftigung mit der Person des Täters (auch Rachegedanken), unrealistische Einschätzung des Täters als allmächtig, Idealisierung, paradoxe Dankbarkeit oder Mitleid mit dem Täter,

emotionale Abgestumpftheit und Instabilität: ständiges Gefühl von Betäubt sein, emotionaler Rückzug, allgemeine Lustlosigkeit als Schutzreaktion vor emotionaler Überforderung, aber auch impulsives Verhalten,

soziale Beziehungsstörung: Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit gegenüber der Umwelt, Entfremdung von den Angehörigen,

vegetative Übererregbarkeit mit verschiedenen körperlichen Symptomen (Herzrasen, Schweißausbrüche, Kreislauflabilität, Ohnmachtsanfälle, Zittern, Übelkeit, Kopfschmerzen, Hyperventilation, Appetitverlust, Essstörung usw.),

dissoziative Symptome (z.B. psychogene Amnesie, d.h. Vergessen der Erlebnisse),

ständige Überwachheit und häufige Schlaflosigkeit (Ein- und Durchschlafstörung),

Verlust der Selbstachtung, Selbstvorwürfe, Scham- und Schuldgefühle,

Resignation, Gefühl einer Zukunft ohne Erwartung und Hoffnung,

Verlust der bisherigen Wertvorstellungen,

depressive Stimmung, öfters auch Selbstmordgedanken und Selbstbeschädigung,

Missbrauch von Alkohol, Tranquilizern oder Drogen als Bewältigungsstrategie,

Entwicklung von Kontrollzwängen zur Angstbewältigung (Kontrolle von Türschlössern und Fenstern aus Angst vor Eindringlingen),

Entwicklung funktioneller Sexualstörungen bei Vergewaltigungsopfern,

Konzentrationsstörung und Leistungsbeeinträchtigung inSchule oder Beruf,

Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit bis zur Berufsunfähigkeit.

 

Mit diesen Auswirkungen leben die meisten Betroffenen, die sexuelle Gewalt in der Kindheit über längere Zeit erleiden mussten. Die Folgen sind genauso furchtbar wie bei Folteropfern!

 

Nichts ist so wie es früher einmal war, wenn die Erinnerungen an die Oberfläche kommen. Das hat keine/r der Betroffenen/ Opfer in der Hand. Es gibt keinen Knopf um das Traumagedächtnis einfach abzuschalten.

 

Viele machen es sich leicht, indem sie Betroffenen/Opfern an den Kopf werfen, sie sollen doch „endlich mal die Vergangenheit vergessen u. sich nicht so anstellen“. Wenn es so einfach wäre würden das diese Opfer mit Handkuss tun, um endlich wieder unbeschwert leben zu können.

 

Wenn ich mich dafür stark mache, dass unsere Regierung endlich bundesweit gesicherte Hilfesysteme auf den Weg bringen soll u. Justizpersonal entsprechende Fortbildungen als Pflichtfach ablegen müssen, dann nur aus dem einen Grund, weil die schnelle u. unbürokratische Hilfe noch schlimmere Folgen verhindern können.

 

Je mehr Hürden, Verwaltungswege u. Erschwernisse den Betroffenen in den Weg gelegt werden um eine angemessene Therapie u. Unterstützung zu erhalten, desto schlimmer können sich die Folgeschäden sexueller Gewalt ausweiten.

 

Den zuständigen Fachkräften im Bundestag ist das alles bekannt, aber trotzdem verweigern sie ein effektives u. an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasstes Hilfesystem. 

 

Um z.B. überhaupt an einen Therapieplatz zu kommen liegen die Wartezeiten im Schnitt zwischen 6-12 Monaten. Die Therapeuten sind restlos ausgebucht in den Städten. In ländlichen Gegenden gibt es meist gar keine spezialisierten Traumatherapeuten.

 

Oftmals müssen die Frauen u. Mädchenberatungsstellen die Betroffenen/Opfer von sexueller Gewalt auffangen, wenn sie in ihrer Not keinen Therapieplatz finden. Und die sind ebenso ausgelastet u. kämpfen an ihrer Kapazitätsgrenze, was Finanzen u. Personal angeht. So sieht es also aus mit der Versorgung der Betroffenen/Opfer von Sexuellem „Missbrauch“.

 

Während der furchtbaren Gewalttat haben die Opfer von geliebten, eigentlich vertrauten Personen (Väter, Onkel, Brüder) oder von kirchlichen Vertrauenspersonen (Priester/Lehrer) auf die brutalste Art sexuelle Gewalt u. den schlimmsten Vertrauensmissbrauch überhaupt erlitten, den es gibt. Die Opfer/Betroffenen wurden zudem zum Schweigen gezwungen unter erneuter Gewaltandrohung.

 

Alle haben weggesehen oder weggehört. Keiner will etwas mitgekriegt haben. Nun haben sie es endlich geschafft darüber zu sprechen! Die „Missbrauchsopfer“ aus den Familien u. auch kirchlichen oder schulischen Einrichtungen.

 

Und nun wird ihnen die notwendige Unterstützung verweigert oder es wird ein Hürdenlauf ohnegleichen. Da ist es kein Wunder, dass sich die Betroffenen/Opfer erneut im Stich gelassen fühlen. Diesmal vom Staat selber.

 

Wer also weiterhin behauptet, sooo schlimm sei das ja nun wirklich nicht, der möge diesen Text gründlich lesen u. sich fragen, wie es denn wäre, wenn man mit einem Unfallopfer am Straßenrand genauso verfahren würde?

 

Im Sinne von: „Es tut uns ja leid, dass du dort blutend am Wegrand liegst, aber im Moment sind leider die Landeskassen leer, also warte noch etwa ein halbes Jahr, dann sehen wir mal, ob wir dir weiter helfen oder auch nicht...“

 

Genauso wird mit Betroffenen/Opfern von sexueller Gewalt in unserem Land verfahren. Aus diesem Grund gibt es z.B. das NetzwerkB, ein Verein für Betroffene von sexueller Gewalt.

https://netzwerkb.org/

 

Oder den Bundesverband Frauenberatungsstellen u. Frauennotrufe:

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/ziele-und-aufgaben.html

 

Oder auch die Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt:

https://ifgbsg.org/uber-uns/

 

Wer noch mehr Infos möchte kann sie auch hier finden:

http://www.gegen-missbrauch.de/ueber-den-verein.html

 

Setzt Euch ein FÜR diese Betroffenen!

 

Zum Wochenende möchte ich euch einen interessanten Artikel zu lesen geben über Marylin French:

https://www.zeit.de/online/2008/35/vergessene-autoren/komplettansicht

 

Auszug:

Das Jahr 1968 kam und veränderte vieles. Frauen bekamen mehr Freiheit und die Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen. Für viele war es da bereits zu spät. Das Leben hatte sie schon kaputtgemacht: eine Scheidung, eine Vergewaltigung, eine anhaltende unglückliche Ehe, die dritte Abtreibung, keine Aussicht auf Ausbildung – aus diesen persönlichen Schicksalen wob die bis dahin noch unbekannte Autorin Marilyn French ihr Buch Frauen.

 

Es war eine Kollektivbiografie von 16 miteinander verbundenen Frauen, die zusammen die Ehegefängnisse durchlebten, sich auf unterschiedliche Art freikämpften und ein neues Leben anfingen, um dann doch wieder an der Dominanz der Männer zu scheitern. Es ist der heute 78-Jährigen gelungen. Sieben weitere Romane und etliche wissenschaftliche Bücher folgten, darunter Frenchs zweites bekanntes Werk Jenseits der Macht. Frauen, Männer und Moral, eine Geschichte der Moral in geschlechtsspezifischer Sicht. Aus dem New Yorker intellektuellen Leben ist French nicht mehr wegzudenken und genießt als Feministin in den USA einen ähnlichen Status wie Frenchs langjähriges Vorbild Simone de Beauvoir in Europa.

 

Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende

und liebe Grüße

Violine